Wenn Cover zur Ohrfeige werden
Irgendwann war es wieder so weit. 23:54 Uhr. Ich kann nicht einschlafen. Lesen bringt bei mir gar nichts. Ich drifte in solchen Momenten bei jedem dritten Satz ab. In Gedanken an all die Dinge, die im Leben unerreichbar sind. Richtig nervös kann mich das machen. Zum Beispiel, dass ich mir damals die Titel nicht aufgeschrieben habe! Irgendwann im Jahr 2012 oder 2013 vielleicht. Damals bin ich mir untreu geworden und tatsächlich hängengeblieben vor dem Fernseher in einer dieser „Ultimativen-Sonstnochwas-Shows“ nach dem unsäglichen Oliver Geissen-Schema. Was mich aber fesselte: Es ging diesmal um ultimative Cover-Versionen. Hat mich das umgehauen! Variationen, die viel besser waren als die ohnehin schon großartigen Originale. Neuer Schliff, neues Gesicht, neuer Duft.
Ich erinnere mich an keinen einzigen.
Sowas fuchst mich dann Jahre später nachts um 23.54 Uhr so sehr, dass ich mich nur mal schnell noch zur Recherche ins Internet begebe. Auch hier gibt es ein Schema: Ich lande in der iTunes-Bibliothek. Es wird spät. Es wird teuer.
Seit diesem konkreten Fall bin ich ein bisschen im Delirium. Zwar konnte ich auf meinen Umwegen keinen einzigen der im Gedächtnis verschütteten Titel oder deren Nachahmer finden, auch nicht die Show. Und das, obwohl Youtube mittlerweile Werbung aus den 1960er-Jahren dokumentiert. Aber auf meinen der Google-Eingabe „Die besten Cover-Songs“ folgenden Irrfahrten sind mir Sirenen begegnet, die vielleicht einen Helden wie Odysseus kalt lassen würden. Mich aber nicht.
„My lonelyness is killing me“, singt Britneys Speares und hat damit im Jahr 1998 nicht nur einen nachhaltigen Hit platziert und mit zarten 17 Jahren eine Rekordkarriere, sondern auch eine Lawine an Nachahmern losgetreten. Der Vergleich zwischen dem Song, der das gleichnamige Album zum meistverkauften einer Teenagerin machte, und seinen Cover-Versionen ist köstlich. Abendfüllende Unterhaltung. Unter etlichen verzichtbaren Versionen wie zum Beispiel jene Singer/Songwriter-Sülze von Ed Sheeran, die auf der Gute-Stimmung-Welle des Originals reiten, gibt es auch veritable Neuinterpretationen – und eine Ohrfeige.
Zur Ohrfeige ausgeholt hat „Sicker Man“. Man kann den Song kostenlos leider nur probehören. Ihn komplett zu laden ist wärmstens schon deshalb empfohlen, weil man mit dieser skurrilen Cover-Version irritierte Gesichter zaubern kann. Einfach mal beim nächsten Brunch vorspielen. Großartig! Hinter Sicker Man steckt der Musiker Tobias Vethake aus Berlin, der in diesem Fall seinem Künstlernamen alle Ehre macht und Britneys Spears‘ tanzbare Heiterkeit in Grund und Boden covert. Aus Britneys knackigem Rotzlöffel-Song wird Spuk. Als hätte ein heftiger Virus das Lied befallen, der nun Fieberwahn auslöst statt zappelnder Tanzbeine. Übrig bleibt ein völlig angeschlagenes, aber schauerlich schönes Stück, das Gruselfilmen den passenden Soundtrack liefern könnte. Schonmal den Film „Coraline“ gesehen? Genau diese Stimmung.
Eine müde wie in Zeitlupe wabernde Sirene läutet das Lied ein. Als hingen die Saiten direkt im Ohr, beginnt eine Gitarre mit den gebrochenen Akkorden. Im Hintergrund immer ein Wabern. Von Britneys honigsüßem Girlie-Gesang ist nur noch ein Glockenspiel übrig, das die Melodie einer schwindsüchtig singenden Männerstimme dissonant begleitet. Heulender Wind hinterfängt den Gesang, scheppernde Dosen stiften diesem Skelett einen kaum noch tanzbaren Rhythmus.
Ein besseres Lied hätte Vethake kaum wählen können um beim Betreten von fremdem Revier seine Duftmarke zu markieren. In seinem Projekt Sicker Man arbeitet der Musikproduzent mit einer wirkungsvollen Mischung aus klassischen Instrumenten wie Gitarre, Zither, Glockenspiel oder Cello und Elektronik. Vethake trifft damit aber kongenial den eigentlichen Nerv des Songtextes. Darin geht es immerhin um Herzschmerz. „My lonelyness is killing me…“
Oder geht es vielleicht doch um SM? „Hit me baby one more time“, das hat einige Kritiker zu Spekulationen über sadomasochistische Anspielungen verleitet. Nicht ganz abwegig. Sex sells. Warum also den Song nicht mit der Gewalt des Metalcore zerhacken, womit er immense Wucht entfaltet. Dass sich „August Burns Red“ den Song vorgenommen haben, könnte man als Kampfansage verstehen. Es ist aber recht harmlos: Die Band hat damit ihren Cover-Beitrag geleistet für die „Punk goes Pop 2 Compilation“, die im März 2009 veröffentlicht wurde.
Lieder und ihre Cover-Versionen: ein spannendes Thema, bei dem man ganz hervorragend vom Hundertsten ins Tausendste kommen kann. Die Website www.coverinfo.de hilft einem dabei. Vorsicht: Man vergisst hier gerne die Zeit – Baby, one more time …
Aber versprochen: Es geht einem dann ähnlich wie Roger (Gig Young), nur ohne Alkohol. In der US-amerikanischen Filmkomödie „Ein Hauch von Nerz“ (1962) ist Roger der Finanzberater des reichen und egozentrischen Geschäftsmannes Philip Shayne (Cary Grant). Und er hat endlich ein Mittel gegen seine Schlafprobleme gefunden: heiße Milch mit Rum. „Man kann dann zwar immer noch nicht schlafen“, sagt er augenzwinkernd, „aber es ist einem egal.“
In diesem Sinne: Gute Nacht!